Digitale Kompetenzen für Gesundheitsberufe
Digitale Kompetenzen für Gesundheitsberufe

Digitale Kompetenzen für Gesundheitsberufe

Digitale Kompetenzen für Gesundheitsberufe

Einführung

Die Gesundheitsberufe haben bereits seit über 30 Jahren mit Digitalisierung zu tun. Der Wandel von analogen Akten hin zu elektronischen Systemen zur Dokumentation ist ein bekanntes Beispiel, nicht zuletzt weil Angehörige der Gesundheitsberufe aktuell zwischen 15 und 70 % ihrer Arbeitszeit damit, administrative Aufgaben zu erledigen [1].
Die bereits praktizierenden Gesundheitsfachkräfte als auch die sich derzeit im Studium und Ausbildung befindende Generation werden überwiegend im privaten Bereich «digital sozialisiert». Diese digitale Sozialisierung führt jedoch nicht unbedingt zu berufsspezifischen digitalen Handlungskompetenz. Häufig sind hier Herausforderungen, wie eine unkritische Nutzung digitaler Angebote und Übernahme von Verhaltensmustern aus dem privaten Alltag [2][3] zu beobachten. Ein bekanntes Beispiel einer digitalen Fehlentwicklung ist die unkritische Nutzung von WhatsApp im Gesundheitssystem [4], aus rechtlicher und ethischer Sicht ist der Einsatz im Behandlungskontext vollkommen inadäquat [1].

Um den zukünftigen Herausforderungen gerecht zu werden, müssen auch Angehörige der Gesundheitsberufe den durch die digitale Transformation angestoßenen Veränderungsprozess verstehen und neue Kompetenzen erwerben. Dazu gehören das Verstehen von digitalen Behandlungskonzepten, das Erlernen von praktischen Fertigkeiten und das Entwickeln einer reflektierenden Haltung [1]. Im Kontext dieser grundlegenden Auseinandersetzung mit digitalen Technologien ist die kompetenzbasierte Weiterentwicklung der eigenen Rolle im Gesundheitsberuf von entscheidender Bedeutung [4].

Digitale Kompetenzen

Digitale Kompetenzen im beruflichen Kontext sind eine Reihe von grundlegenden Kenntnissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten und andere Eigenschaften, die es Menschen ermöglicht, Ihre Arbeitsaufgaben im Umgang mit digitalen Medien effizient und erfolgreich zu erledigen [10]. Nach Becka et al. [11] werden die notwendigen Kompetenzen in folgende Kompetenzbereiche unterteilt:

  • Kernkompetenzen,
  • spezialisierte Kompetenzen und
  • reflexive Kompetenzen.

Zu den Kernkompetenzen werden Wissen über Funktion, Einsatzgebiete und Zweck digitaler Technologien in der Gesundheitsversorgung und Kenntnisse in der Anwendung von digitalen Technologien verstanden [12][13][14]. Diese Kompetenzen werden zwar als Alltagskompetenzen betrachtet, jedoch muss sichergestellt werden, dass für alle Angehörigen der Gesundheitsberufe gleiche Voraussetzungen und Standards geschaffen werden [11]. Spezialisierte Kompetenzen werden mit Blick auf den Umgang mit Daten, wie Datenmanagement, Big Data etc beschrieben. Die reflexiven Kompetenzen umfassen die informierte Beurteilung von Folgen und Effekten der Digitalisierung im Gesundheitswesen und im speziellen Anwendungskontext [1].

Digitale Kompetenzmodelle

Es gibt aktuell kein Kompetenzrahmenmodell für Digitalisierung und neue Technologien in der Pflege [6] bzw. für Gesundheitsberufe. Das digitale Kompetenzmodell (DiComp) ist ein Referenzrahmen für digitale Kompetenzen, der sich jedoch nicht explizit auf das Gesundheitswesen bezieht. In der aktuellen Fassung DigComp2.1 werden fünf Kompetenzbereiche (Informations- und Datenkompetenz, Kommunikation und Kooperation, Erstellung digitaler Inhalte und Sicherheit und Problemlösung) [7]. Es gibt weiter verschiedenen Publikationen, die sich mit der Erarbeitung von Kompetenzprofilen beschäftigen. Diese unterscheiden sich jedoch deutlich in Art, Umfang und Zielgruppen. Diese folgen meist IT-orientierten Perspektiven der Gesundheits- und Pflegeinformatik und betrachten meist interprofessionelle Aspekte zu wenig [1].

Li et al. (2019) beschreibt Maßnahmen, welche die Verbesserung der digitalen Fähigkeiten der Mitarbeiter*innen im Gesundheitssystem und die erfolgreiche Implementierung von digitalen Anwendungen in der Praxis fördern. Diese prioritäre Ausbildungsmaßnahmen sind die Verbesserung des Bewusstseins für digitale Medizin, die Schaffung geeigneter Bildungskonzepte und deren curriculare Integration [8].

Die Anwender*innen digitaler Technologien sind nach Kuhn (2019) mit mehrdimensional ausgerichteten Kompetenzen auszustatten:

  • instrumentell-technische Kompetenzen: sicherer und fachgerechter Einsatz digitaler Anwendungen (z.B. Bedienung)
  • kognitiv-inhaltlicher Kompetenzen: komplexe Funktionszusammenhänge erkennen (z.B. Datenschutz und -sicherheit)
  • sozial-kommunikative Kompetenzen: digital gestützte, interprofessionelle Zusammenarbeit oder Kommunikation
  • emotionale Kompetenzen: angemessenes Verhalten bei der Anwendung digitaler Technologien bzw. Anwendungen
  • reflexive Kompetenzen: Fähigkeiten zur Bewertung von digitalen Anwendungen (ethisch, ökonomisch, usw) [1].
Digitale Technologien für Lehre und Lernen

Die digitale Entwicklung in der Hochschullehre wurde nicht zuletzt seit dem Frühjahr 2020 pandemiebedingt extrem beschleunigt. Die weltweiten Einschränkungen von Bewegung und Kontakt hat einen enormen Digitalisierungsschub in der Ausbildung bewirkt. Durch den vermehrten Einsatz digitaler Technologien in der Lehre entstanden viele innovative Lösungen, die auch in den Gesundheitsberufen eine grundlegende Strukturveränderung der Ausbildung bewirken. Das Lernen und Lehren haben durch digitale Hilfsmittel vielfältige neue Möglichkeiten, um Bildung in moderner Form umzusetzen. Individuellere Lernformen werden möglich und verändern die Rolle der Studierenden von Wissensempfängern zu aktiven Akteuren der Ausbildung. Neben den neuen Inhalten aus dem Bereich digitale Technologien sind digitale Lehr- und Lernformate nützliche Werkzeuge, um Bildung modern didaktisch umzusetzen

Stand der Ausbildungen der Gesundheitsberufe

Eine Untersuchung der Ausbildungspläne der Fachhochschulstudiengänge der Gesundheitsberufe in Österreich liefert folgende Daten [5]:

Lehrinhalte zu digitalen Technologien sind wenig bis gar nicht berücksichtigt. Nur 26% aller betrachteten Studiengänge weisen digitale Technologien als Ausbildungsinhalte auf. In vier von neun Gesundheitsberufen konnten in keinem der angebotenen Studiengänge in Österreich digitale Ausbildungsinhalte identifiziert werden. In fünf von neun Gesundheitsberufen sind teilweise entsprechende Ausbildungsinhalte vorhanden, aber nicht flächendeckend in allen Studiengängen des Gesundheitsberufs (bspw. in der Ergotherapie: es wurden acht Studiengänge identifiziert, nur in einem stehen digitale Inhalte im Ausbildungsplan). Fazit: In den Curricula der Gesundheitsberufe an Fachhochschulen in Österreich sind digitale Kompetenzen nur unzureichend bzw. nicht flächendeckend abgebildet [5].


Referenzen:

[1] Kuhn, S., Ammann, D., Cichon, I., Ehlers, J., Guttormsen, S., Hülsken-Giesler, M., Kaap-Fröhlich, S., Kickbusch, I., Pelikan, J., Reiber, K., Ritschl, H. und Wilbacher, I. (2019). Careum working paper 8 – long version: «Wie revolutioniert die digitale Transformation die Bildung der Berufe im Gesundheitswesen?» unter: www.careum.ch/workingpaper8-la [Zugriff am 18.10.2022]

[2] Persike, M., Friedrich, J. (2016) Lernen mit digitalen Medien aus Studierendenperspektive. unter: https://hochschulforumdigitalisierung.de/sites/default/files/dateien/HFD_AP_Nr_17_Lernen_mit_digitalen_Medien_aus_Studierendenperspektive.pdf. [Zugriff am 09.02.2019].

[3] SCHULMEISTER, R. 2009. Gibt es eine «Net Generation»? unter: http://epub.sub.uni-hamburg.de/epub/volltexte/2013/19651/pdf/schulmeister_net_generation_v3.pdf. [Zugriff am 09.02.2019].

[4] Kuhn, S. (2018). Medizin im digitalen Zeitalter: Transformation durch Bildung. Dtsch Arztebl International, 115(14), 633–638.

[5] Prochaska, E. (2022). Digitale Kompetenzen für Gesundheitsberufe. Eine Analyse der Ausbildungspläne der Gesundheitsberufe an Fachhochschulen in Österreich. Pflege Professionell LLIG 8. S. 15-22.

[6] Hassler, M. (2022). Digitalization and new technologies in care – concepts and potentials for nursing care provision. In: Primic, N (Hg.). Digitalisierung der Pflege. Interdisziplinäre Perspektiven auf digitale Transformation in der pflegerischen Praxis. V&R unipress.

[7] DigCom 2.1 (2017). The digital competence framework for citizens with eight proficiency levels and examples of use. unter: https://digid.jff.de/digid_paper/digcomp-2-1-the-digital-competence-framework-for-citizens-with-eight-proficiency-levels-and-examples-of-use/ [Zugriff: 18.10.22]

[8] Li, S., Bamidis, P. et al. (2019) Setting priorities for EU healthcare workforce IT skills competence improvement.Health Informatics J, 25(1), 174–185.

[9] Bendig, T., Bleses, P. et al. (2017). Leitlinien Pflege 4.0. Handlungsempfehlungen für die Entwicklung und den Erwerb digitaler Kompetenzen in Pflegeberufen. Gesellschaft für Informatik. Berlin

[10] Oberländer, M., Beinicke, A., Bipp, T. (2019). Digital competencies: a review of the literature and applications in the workplace. Computers & Education, 146, 103752. DOI: 10.1016/j.compedu.2019.103752

[11] Becka, D., Bräutigam, C., Evans, M. (2020). Digitale Kompetenz in der Pflege. Ergebnisse eines internationalen Literaturreviews und Herausforderungen beruflicher Bildung. Forschung Aktuell Nr. 8/20. Institut Arbeit und Technik (IAT). Gelsenkirchen.

[12] Bendig, T., Bleses, P., Breuer, J. et al. (2017). Leitlinien Pflege 4.0. Handlungsempfehlungen für die Entwicklung und den Erwerb digitaler Kompetenzen in Pflegeberufen. Gesellschaft Informatik e.V. Berlin.

[13] Hübner, U., Egbert, N., Hackl, W., Lysser, M., Schulte, G., Thye J., Ammenwerth, E. (2017). Welche Kernkompetenzen in der Pflegeinformatik benötigen Angehörige von Pflegeberufen in den D-A-CH-Ländern. Eine Empfehlung der GMDS, der ÖGPI und der IGPI. GMS Med Inf Biometric Epid 2017. 3(1).

[14] Hübner, U., Shaw, T., Thye, J., Egbert, N, Marin, H., Chang, P., et al. (2018). Technology Informatics Guiding Education Reform-TIGER. An international framework of core competencies in health informatics for nurses. Meth Inform Med 2018. 57:30-42. doi: 10.3414/ME17-01-0155.

Beitragsbild: Geralt_Pixabay

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